Lebensversicherer zählen zu den größten Anlegern am deutschen und an internationalen Kapitalmärkten. Eine Tatsache, die nicht verwunderlich ist, denn jährlich erhalten die Versicherer viele Milliarden Euro an Beitragsgeldern von ihren Kunden. Es liegt dann am Versicherer, dieses Geld gewinnbringend anzulegen, um die den Kunden versprochene Rendite und zusätzlich einen möglichst hohen Gewinn für das Unternehmen selbst zu erwirtschaften.
Die momentane Zinssituation ist eine Herausforderung
Entsprechend der geschilderten Situation stellt die derzeitige Niedrigzinsphase für die Versicherungsgesellschaften eine große Herausforderung dar. Problematisch sind vor allem Altverträge: In der einige Jahre zurückliegenden Vergangenheit haben die Lebensversicherer ihren Kunden in den Policen häufig relativ hohe Verzinsungen auf die eingezahlten Beiträge garantiert. Diese Versprechen müssen sie nun weiterhin einhalten, obwohl es für sie oft schwierig ist, selbst Anlagemöglichkeiten mit derart hoher Rendite zu finden.
Die meisten Lebensversicherer gehen davon aus, dass sich die Zinssätze auf dem Kapitalmarkt auch in der mittelfristigen Zukunft auf einem niedrigen Niveau halten werden. Viele investieren daher in langfristige Anlagen mit Laufzeiten von oft bis zu zehn Jahren. Für diese erhalten sie naturgemäß eine etwas bessere Verzinsung, müssen aber eben ihr Kapital für eine entsprechend lange Zeit binden. Doch nicht alle Versicherungsunternehmen sind sich in dieser Strategie einig. So setzt beispielsweise die Gothaer-Versicherung auf das genaue Gegenteil. Bei dem Kölner Unternehmen hat man gar Angst vor einer Inflation und rasant steigenden Kapitalmarktzinsen, verriet Gothaer-Finanzvorstand Jürgen Meisch der Financial Times Deutschland.
Höhere Zinssätze könnten Versicherern großen Schaden zufügen
Das von der Gothaer gefürchtete Szenario wird zwar von den meisten Experten als eher unwahrscheinlich betrachtet, würde aber, wenn Meisch doch Recht behalten sollte, den langfristig anlegenden Konkurrenten massivst schaden. Hohe Zinssätze auf dem Kapitalmarkt würden nämlich bedeuten, dass man um Kapital zu mobilisieren langfristige Anlagen frühzeitig kündigen bzw. verkaufen müsste – zu entsprechend schlechten Konditionen. Diese Mobilisierung wäre nicht nur nötig, um selbst auf Anlagen mit hohem Zinssatz umzuschwenken, sondern auch, um kündigungswillige Kunden auszuzahlen. Mit dem Kapitalmarktzins würde nämlich auch die Kündigungsquote ansteigen, denn wer möchte schon weiter in eine Lebensversicherung mit mäßiger Rendite einzahlen, wenn am freien Kapitalmarkt deutliche höhere Zinssätze geboten werden? Meisch befürchtet in diesem Zusammenhang Kündigungsquoten von acht bis neun Prozent.
Bisher scheint die in Branchenkreisen ungewöhnliche Strategie der Gothaer aufzugehen: Die niedrigeren Erträge aus kurzfristigen Kapitalanlagen konnte man mit Investitionen in gut verzinste Firmenanleihen wettmachen. Im Jahr 2011 konnte der kölner Konzern, der ein Kapital von rund 23 Milliarden Euro verwaltet, seinen Gewinn deutlich steigern.